Schweizerischer Nationalpark

Seit 1914: Natur ohne Jagd

Mitte des 19. Jahrhunderts

Mitte des 19. Jahrhunderts

wurden die Rothirsche im Engadin ausgerottet. 50 Jahre später wanderten sie von Nord- und Mittelbünden wieder ein. Rund 2000 Hirsche leben in den Sommermonaten im Nationalpark. Hirsche tragen zur Vermehrung des Waldes bei, weil sie Baumsamen verbreiten: Auf Wildwechseln im Nationalpark wurden rund 30 Mal mehr Keimlinge gefunden als außerhalb von Wildwechseln. Foto: Schweizerischer Nationalpark

Artikel aus: Magazin "Freiheit für Tiere" 2/2014


Der Schweizerische Nationalpark feierte 2014 sein hundertjähriges Bestehen. Mit seiner Gründung am 1. August 1914 schufen die Pioniere eine einzigartige Wildnisoase. Hier sollte sich die Natur ohne das Dazutun des Menschen frei entwickeln können - und so war von Anfang an die Jagd verboten. Im ältesten Nationalpark Mitteleuropas wird dieses bemerkenswerte Naturexperiment seit hundert Jahren wissenschaftlich begleitet und dokumentiert.

Der Schweizerische Nationalpark wurde 1914 als erster Nationalpark in den Alpen gegründet. Gemäß den Bestimmungen der Weltnaturschutzunion (IUCN) gehört der Schweizerische Nationalpark zur Kategorie 1a von Schutzgebieten und gilt somit als Strenges Naturreservat/Wildnisgebiet . Seine Fläche von 170 Quadratkilometer entspricht der Größe des Fürstentums Liechtenstein. Die Gründer des Schweizerischen Nationalparks (SNP) verfolgten vor 100 Jahren bemerkenswerte Ziele, die heute als visionär gelten können: Sie wollten die natürlichen Prozesse ohne Eingriffe des Menschen wirken lassen. Und so gilt der Nationalpark als Oase der Ursprünglichkeit und der wiederkehrenden Wildnis.
Darüber hinaus ist der Schweizerische Nationalpark von Anfang an ein Freiluftlaboratorium für Wissenschaftler und ermöglichte ein Jahrhundert Umweltbeobachtung. Die Anzahl fachlicher Publikationen und Studien ist gerade in den letzten 20 Jahren enorm gestiegen, was das wissenschaftliche Interesse und auch das Interesse der Öffentlichkeit deutlich macht.

Wildtiere sind Sinnbilder intakter Natur. Im Schweizerischen Nationalpark können die Besucher Steinböcke, Gämsen, Hirsche, Rehe, Murmeltiere, Bartgeier und Steinadler beobachten. Dabei mussten Steinböcke und Bartgeier hier erst wiederangesiedelt werden. Die Rothirsche kamen von selbst zurück.

Vom Kahlschlag zum Naturreservat

Das Gebiet des Schweizerischen Nationalparks wurde jahrhundertlang intensiv forstwirtschaftlich genutzt - bis hin zur kahlschlagartigen Nutzung. Denn das Holz war von großem wirtschaftlichen Interesse, nicht nur für die Engadiner Gemeinden, sondern zunächst vor allem für den Bergbau und ab dem 18. Jahrhundert im großen Stil für die Versorgung der Saline Hall in Tirol. Ganze Talhänge wurden für die kommerzielle Nutzung kahl geschlagen.

Die Auswirkungen sind im heutigen Waldbild immer noch zu sehen, vor allem in den Bergföhrenwäldern im Ofenpassgebiet. Erst nach 1835 wurden erste Maßnahmen zur Eindämmung der Kahlschlagwirtschaft seitens des Kantons wirksam , schreibt Jon Domenic Parolini. (Atlas des Schweizerischen Nationalparks, S. 50) Danach war das Gebiet für die Weideverpachtung für die Schafhaltung von Bedeutung. Da dies Anfang des 20. Jahrhunderts nicht mehr wirtschaftlich war, boten sich günstige Voraussetzungen für die Gründung des Nationalparks: Denn wer einen Nationalpark ins Leben rufen will, braucht ein großes Gebiet, das der wirtschaftlichen Nutzung damit entzogen wird.

Angesichts der Ausmaße der verschiedenen Nutzungen in der Vergangenheit kann der SNP insgesamt nicht als wenig berührte Naturlandschaft gelten. Es handelt sich vielmehr um eine Kulturlandschaft im umfassenden Sinn , so Jon Domenic Parolini (a.a.O.). Deren Spuren werden langfristig immer weniger sichtbar.

Dank 100 Jahre ungestörter Entwicklung ohne Land- und Forstwirtschaft gibt es heute Wälder mit Baumarten in unterschiedlichsten Stadien. Kleine Arven in alten Bergföhrenbeständen sind charakteristisch für viele Wälder des Schweizerischen Nationalparks: unter dem Kronendach von Altbäumen findet also eine Naturverjüngung statt. Und das verbreitete Totholz ist viel lebendiger, als der Begriff ahnen lässt: es steckt nicht nur voller Leben, sondern schafft die Grundlagen für weiteres - und die Besiedelung von jungen Bäumen.

Biodiversität - Vielfalt des Lebens

Als Biodiversität wird die biologische Vielfalt in allen ihren Erscheinungsformen bezeichnet: die Vielfalt der Ökosysteme, die Artenvielfalt von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen sowie die genetische Vielfalt.

Die Vielfalt des Lebens kann sich in großen, naturbelassenen Gebieten am besten entwickeln. Solche Gebiete sind aber selten geworden und liegen in den Alpen zerstreut und zerschnitten von menschlicher Nutzung und Infrastruktur. Deshalb braucht es den Blick über die Parkgrenze hinaus: Kleine und große Netzwerke, Kooperationen und Verbundsysteme mindern die Folgen dieser Fragmentierung und erhalten die Lebensräume für die Arten auch außerhalb des Nationalparks. (Atlas des Schweizerischen Nationalparks, S. 63)

Da die Artenvielfalt mit zunehmender Höhe abnimmt, erreicht der Schweizerische Nationalpark bei der Anzahl der verschiedenen Arten keine Höchstwerte - doch vermag er durch verschiedenartige Lebensräume, natürliche Beziehungsnetze und das langfristige Gewähren von Sukzessionen "punkten2. (ebda., S. 70)

Im Nationalpark leben 35 verschiedene Säugetierarten, 73 Vogelarten, 5 Reptilien- und 3 Amphibienarten, 227 Schmetterlinge (davon 108 Tagfalter), 34 Libellen- und 205 Käferarten sowie 99 Landschnecken und Großmuscheln.

Ein Paradies für Tagfalter

Für Tagfalter ist der Schweizerische Nationalpark ein Paradies: 108 verschiedene Arten wurden hier bislang gezählt. Diese Vielfalt ist beachtlich: es ist mehr als die Hälfte aller in der Schweiz vorkommenden Arten und 24 Prozent der in ganz Europa vorkommenden Arten. Besonders gut erforscht ist die Tagfaltervielfalt auf alpinen Rasen. Dabei wurden auf nur einem Hektar Untersuchungsfläche bis zu 51 verschiedene Arten gefunden.

Erfreut Groß und Klein: Das Alpenmurmeltier

Murmeltiere erfreuen Groß und Klein im Nationalparks. Die possierlichen Tiere lassen sich auch aus der Nähe gut beobachten. Die größte Anzahl Murmeltiere im Nationalpark ist in der Val Trupchun mit ihrem üppigen Grasland zu finden: Im Talgrund des vorderen Talabschnitts leben überwiegend Einfamilienkolonien, in der ehemaligen Alp Trupchun lebt eine Mehrfamilienkolonie. (Atlas des Schweizerischen Nationalparks, S. 140)

Murmeltiere sind sehr soziale Tiere, und so spielen soziale Kontakte in ihrem Leben eine große Rolle. Die Tiere erkennen sich gegenseitig am Geruch ihrer Wangendrüsen. Die Familienverbände bewohnen ein System von selbst gegrabenen, metertiefen und verzweigten Erdbauten. Eine Familie besteht in der Regel aus einem erwachsenen Männchen und einem Weibchen sowie mehreren Jungtieren. Da Murmeltierweibchen nicht jedes Jahr Junge haben, sind in einer Familie nicht alle Jahrgänge vertreten.

Murmeltiere essen nicht einfach Gras, sondern wählen sich Kräuter aus. Am wichtigsten ist der Alpenklee. Um sich auf den Winter vorzubereiten, futtern sie sich im Sommer Fettreserven an und sammeln Gras, das sie in ihren Bau tragen. Das Heu dient aber nicht als Nahrungsreserve, sondern als Polstermaterial für den Bau. Ende September ziehen sich die Murmeltiere in den gut ausgepolsterten Winterbau zurück. Die Familienmitglieder schmiegen sich eng aneinander und halten einen echten Winterschlaf, währenddessen alle Körperfunktionen stark reduziert ablaufen. Während des Winterschlafs nehmen Murmeltiere weder Nahrung noch Flüssigkeit auf.

Die Alpenmurmeltiere

Die Alpenmurmeltiere

leben auf Alpweiden und subalpinen Rasen. Bei Gefahr verschwinden sie blitzartig im Bau oder in einer der ein bis zwei Meter langen Fluchtröhren.

Ideale Lebensbedingungen für den König der Lüfte

Der Steinadler ist der Ausrottung knapp entgangen. Ihre Zahl ist durch die besseren Umweltbedingungen und vor allem durch das Jagdverbot im Schweizerischen Nationalpark deutlich gewachsen. Der König der Lüfte profitiert von idealen Lebensbedingungen: Hier gibt es die weiträumigen offenen und halboffenen Landschaften in der alpinen und subalpinen Höhenstufe und viele Möglichkeiten zum Bau von Adlerhorsten in schwer zugänglichem Gelände. Ausgewachsene Adler leben paarweise zusammen und verteidigen 30 bis 90 km 2; große Reviere. Die Alpen sind von Steinadlerrevieren gänzlich belegt. Im Sommer ernährt sich der Steinadler vorwiegend von Murmeltieren. Im Winter bildet Aas von Huftieren einen hohen Anteil an seiner Nahrung.

Seit 100 Jahren sind Adlerhorste im Nationalpark bekannt. Heute ist der Nationalpark Teil von sechs Steinadler-Brutrevieren. Jedes Paar hat meist mehrere Horststandorte innerhalb seines Reviers. Steinadler sind ausgesprochen territorial. Fremde Adler werden mit Vehemenz aus dem Revier vertrieben.

Die Paarung der Steinadler findet im Januar statt, die Eiablage im April. Die Jungen schlüpfen im Mai und fliegen etwa Ende Juli aus. Sie werden bis im Winter von ihren Eltern gefüttert.

Der Steinadler hat heute keine natürlichen Feinde mehr. Trotzdem wachsen die Adlerbestände nicht ungehindert an. Je mehr Adler sich im Luftraum tummeln, um so größer wird die Konkurrenz untereinander. Wenn ein Adlerpaar den Horst dauernd verlassen muss, um sein Revier zu verteidigen, vernachlässigt es seine Brut. Tatsächlich zeigen Forschungsresultate, dass der Bruterfolg der Steinadler mit zunehmender Zahl der Reviere sinkt. An diesem Beispiel ist gut zu belegen, dass die Natur sich selbst reguliert.

Die Rückkehr des Bartgeiers in die Alpen

Die letzten Alpenbartgeier waren um 1890 im Engadin durch die Jagd ausgerottet. Um die Bartgeier in den Alpen wieder anzusiedeln, wurden zwischen 1991 und 2007 insgesamt 26 junge Bartgeier im Schweizer Nationalpark freigelassen. Moische und Cic waren die ersten Bartgeier, die sich 1996 im jugendlichen Alter von fünf und drei Jahren verpaarten und erstmals einen Horst bauten. Doch das Bartgeierpaar siedelte zwei Jahre später um - über die Landesgrenze nach Italien in die Valle di Livigno. Dort brüteten sie 1999 erstmals. Bis 2012 haben Moische und Cic im Livignotal elf Jungvögel in vier Horsten zum Ausfliegen gebracht.

2007 brütete erstmal ein Bartgeierpaar, die beiden gerade mal fünfjährigen Zebru und Martell , im Nationalpark erfolgreich: Am 7. April schlüpfte Junggeier Tantermozza und verließ kanpp vier Monate später seinen Horst. Bis 2012 zogen Zebru und Martell drei Jungvögel auf. 2012 brüteten im Engadin zwei neue Paare, eines davon im Nationalpark. Dies ist ein Beleg für die hervorragende Qualität des Lebensraums im schweizerisch-italienischen Grenzgebiet , schreibt David Jenny. (Atlas des Schweizerischen Nationalparks, S. 126)

Tannenhäher: zu Unrecht verfolgter Bäumepflanzer

Der Tannenhäher ernährt sich hauptsächlich von Arvennüsschen. Arven machen 5 Prozent des Waldbestandes im Nationalpark aus. In der Vergangenheit galt der Tannenhäher als übler Arvenschädling und schlimmer Räuber und wurde gnadenlos verfolgt: Für jeden erlegten Tannenhäher gab es folglich in Graubünden eine Prämie von einem Franken, weil dieser für das Verschwinden der Arve verantwortlich gemacht wurde, obwohl übermäßige forstliche Nutzung die Ursache dafür war , schreiben Anita Risch und Martin Schütz. (Atlas des Schweizerischen Nationalparks, S. 88) Mitte des 20. Jahrhunderts begannen Forscher die Ökologie zwischen Tannenhäher und Arve zu verstehen: Tannenhäher schädigen die Arve in Wirklichkeit gar nicht, sondern sind ganz im Gegenteil notwendig für ihre Verbreitung, weil sie Tausende Arvennüsschen als Wintervorrat vergraben und somit neue Bäume pflanzen. Fehlt der Tannenhäher, dann fehlt der Arve die Möglichkeit zur Verbreitung. Erst seit dem Schutz des Tannenhähers - nicht zufällig ist er der Logovogel des SNP - ist die natürliche Verbreitung der Arve folglich wieder sichergestellt.

Ohne Jagd: Zahl der Gämsen bleibt im Gleichgewicht

Der Schutz der Gämsen war bei der Gründung des Nationalparks ein wichtiges Argument. Während Rothirsche und Steinböcke im 17. Jahrhunderts in diesem Gebiet ausgerottet worden waren, gelang es der Gämse als einziger großer Wildtierart, der Ausrottung zu widerstehen.

2Dass sie im Gegensatz zu den anderen Arten überleben konnte, erklärt sich dadurch, dass sie ganzjährig in unwirtlichen, steilen und hohen Lagen zu existieren vermag" , so der ehemalige Leiter des Nationalparks, Heinrich Haller. (Atlas des Schweizerischen Nationalparks, S. 148) Bei Gefahr flüchten sich die Gämsen blitzschnell in die Felsen, über Schutthalden oder in den Krummholzgürtel.

Der Lebensraum der Gämsen umfasst Fels, Wald und Weiden. Sie bleiben auch im Winter in höheren Lagen. Nahrung finden sie im Bereich von schneefreien Graten oder indem sie mit den Hufen im Schnee scharren. Gute Beobachtungsstandorte sind Murtaröl, Val Cluozza und Margunet.

Weil Gamsbock und Geiß ähnliche Hörner tragen, ist ihre Unterscheidung nicht ganz so einfach, doch die Hörner der Geiß sind dünner und weniger stark gebogen als jene des Bocks. Die Hörner der Gämsen wachsen ein Leben lang und werden nicht abgestoßen.

Im Juni werden die Gämskitze geboren. Schon nach wenigen Stunden folgen sie ihrer Mutter über Stock und Stein. Wenn sie bei Fluchten über unwegsames Gelände den Anschluss an die Herde verlieren, jammern sie weithin hörbar, bis ihre Mutter sie wieder findet.

Gämsen besiedeln heute beinahe alles Teile des Schweizerischen Nationalparks. Ihre Zahl schwankt seit 1920 trotz fehlender Bejagung zwischen 1000 und 1700 Stück. Weshalb die Zahl der Gämsen ohne Bejagung nicht sprunghaft ansteigt, wird wissenschaftlich untersucht.

Ausrottung des Steinbocks im 17. Jahrhundert

Der Steinbock wurde in Graubünden bereits Mitte des 17. Jahrhunderts ausgerottet - die Entwicklung weitreichender Feuerwaffen war ihnen zum Verhängnis geworden. Lediglich im Gran Paradiso-Massiv in Italien überlebte dank königlichem Schutz ein kleiner Bestand.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelang es dem italienischen König Vittorio Emanuele III, ein paar der letzten Steinböcke in die Schweiz zu schmuggeln. Der Tierpark Peter und Paul in St. Gallen startete darauf ein weltweit einzigartiges Zuchtprogramm.

Die Wiederansiedlung des Steinbocks in den Alpen

Die Wiederkehr des Steinbocks in die Alpen war ein lang gehegter Plan - und der neugegründete Schweizerische Nationalpark schien dafür prädestiniert. 1920 wurden vier Steinböcke und drei Geißen aus der St. Galler Zucht angesiedelt. Heute leben im Schweizerischen Nationalpark rund 300 Steinböcke.

Steinböcke können hervorragend klettern - die Präzision und Sicherheit ihres Auftreffens sind verblüffend. Aufgrund ihres massigen Körperbaus sind sie aber keine schnellen Läufer. Ihr Körperbau ist es auch, der die Tiere trotz der Anpassung an das Hochgebirge mit tiefem Schnee schlecht zurechtkommen lässt. Sie bevorzugen steile, nach Süden gerichtete und somit schneearme Einstände. Im Nationalpark sind sie vor allem nördlich der Val Trupchun und der Valle di Livigno zu finden.

Die Streifgebiete männlicher Steinböcke umfassen im jährlichen Durchschnitt 45 km 2;, während weibliche Steinböcke in einem durchschnittlichen Gebiet von 10 km 2; unterwegs sind.

Weibliche Rudel werden von einer erfahrenen Leitgeiß geführt. Bei den Bockrudeln ist die Rangordnung offensichtlich: Die Horngröße ist Ausdruck für die individuelle Stärke. Im August und während der Brunft im Dezember demonstrieren die mächtigsten Böcke in eindrücklichen Kämpfen ihre Dominanz. Abgesehen davon setzt wohl kaum ein anderes Tier setzt seine Energie so sparsam ein wie der Steinbock - eine wirkungsvolle Überlebensstrategie.

Der Steinbock

Der Steinbock

wurde bereits um 1650 in Graubünden ausgerottet. 1920 wurden im Schweizerischen Nationalpark einige Steinböcke ausgesetzt. Heute leben hier rund 300 der majestätischen Tiere.

Die Hirsche kamen von selbst zurück

Mitte des 19. Jahrhunderts wurden auch die Hirsche im Engadin ausgerottet. 50 Jahre später wanderten die stolzen Geweihträger von Nord- und Mittelbünden von alleine wieder ein.

Im Nationalpark finden Hirsche zwei Vorteile: Schutz vor menschlicher Störung und ausreichend Nahrung. Sie haben sich an die Gegenwart von Menschen auf den Wanderwegen gewöhnt und lassen sich auch tagsüber gut beobachten - vor allem in der Val Trupchun, der Val Mingèr und am Murtersattel. Nationalparkeffekt nennt man das - und er ist erst möglich durch das Jagdverbot im Park.

Rund 2000 Hirsche leben während der Sommermonate im Schweizerischen Nationalpark. Sie sind bestens an den alpinen Lebensraum angepasst und verbringen den Sommer in Höhenlagen bis fast 3000 m. Mitte Oktober verlassen die meisten Hirsche den Nationalpark und überwintern an den Sonnenhängen der Haupttäler im Engadin, Münstertal und Vinschgau.

Der Zusammenhang von Hirschen und dem Entstehen von Wald

Bei der Gründung des Nationalparks vor 100 Jahren hoffte man, dass auf den ehemaligen Alpweiden rasch wieder Wald wachsen würde. Doch die Weiden bewalden viel langsamer als zur Parkgründung vermutet wurde. Die Jahrhunderte lange Nutzung als Viehweide führte zu einer Anreicherung von Nährstoffen im Boden. Die auf solchem Boden wachsenden Hochstauden konnten sich auch nach Aufgabe der Viehweiden viele Jahrzehnte lang halten und verhinderten ein Aufkommen von Bäumen. Nur wo Rothirsche nach ihrer Wiedereinwanderung diese dichten und nährstoffreichen Bestände beästen, veränderte sich deren Struktur und Artenzusammensetzung , so Martin Schütz. (Atlas des Schweizerischen Nationalparks, S. 220) Bei anhaltendem Beäsungsdruck entwickelte sich schließlich Kurzrasen. Auf die Kurzrasen folgten Magerrasen und erst in diesen scheint es für Bäume - im SNP primär für die Bergföhre - möglich zu werden, sich zu etablieren und Bestände zu bilden. (ebda.)

Waldverjüngung und hohe Huftierdichte: Verdoppelung der Artenvielfalt

Bis Anfang des 20. Jahrhunderts stand der Wald in der Val Trupchun unter dem Einfluss der Holzwirtschaft und Beweidung durch Schafe und Kühe. Nach der Gründung des Schweizerischen Nationalparks wurde der Val Trupchun von Rehen, Rothirschen und Steinböcken wieder besiedelt. Heute leben 120 bis 200 Gämsen und 200 Steinböcke in den Lärchen-Arvenwälder und Lärchen-Fichtenwälder in der Val Trupchun, im Sommer kommen 400 bis 500 Rothirsche und einige Rehe hinzu.

Steigende Zahlen frei lebender Huftiere führten ab Mitte des 20. Jahrhunderts zu Diskussionen über den Wildeinfluss auf den Wald , schreibt Martin Brüllhardt. (Atlas des Schweizerischen Nationalparks, S. 90) In den 1960er Jahren wurde der sichere Zerfall des Fichtenwaldes in der Val Trupchum prognostiziert.

Doch die vorliegenden Daten im Schweizerischen Nationalpark zeigen: Die konstant hohe Huftierdichte vermag das Aufwachsen der Hauptbaumarten Lärche, Arve und Fichte in der Val Trupchum nicht zu unterbinden , so Martin Brüllhardt. (ebda.)

Einerseits fressen die Wildtiere junge Triebe, nagen die Rinde von Bäumen ab oder fegen und schlagen ihre Geweihe oder Hörner an den Bäumen. Anderseits tragen sie zur Vermehrung des Waldes bei, weil sie Samen im Fell oder im Kot transportieren, Nährstoffe aus Äsungsgebieten in Wildwechsel und Ruhezonen transportieren und so vor allem auf Wildwechseln das Wachstum von neuen Keimlingen begünstigen. Die Studie Bedeutung von Huftieren für den Lebensraum des Nationalparks bzw. zum Nahrungsangebot und zur Waldverjüngung der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft zeigt: Auf den aktuell benutzten Wildwechseln wurden pro Quadratmeter ca. achtmal mehr Keimlinge gefunden als auf verlassenen Wechseln und rund dreißigmal mehr als außerhalb von Wildwechseln.

Hinzu kommt: Der Wechsel von der Weide für Kühe und Schafe zur Hirschweide führte zu einer komplett neuen Artenzusammensetzung der Vegetation und einer Verdoppelung der Artenvielfalt!

Füchse - die größten Beutegreifer im Nationalpark

Nach der Ausrottung von Wolf, Luchs und Bär im 19. Jahrhundert ist der Fuchs zum größten Beutegreifer im Nationalpark geworden. Er ernährt sich vor allem von Huftieraas, Würmern, Mäusen und Murmeltieren. Der Fuchs ist wie alle anderen Tiere und Pflanzen im Nationalpark geschützt und wird somit auch nicht geschossen. Entgegen der Prognosen aus Jägerkreisen ist keines seiner Beutetiere ausgestorben.

Großraubtiere - Bären, Wölfe und Luchse - haben sich im Schweizerischen Nationalpark noch nicht wieder angesiedelt. Sie haben aktuell den Status als gelegentliche Durchzügler. Trotz regelmäßiger Besuche von Braunbären ist ein permanentes Vorkommen mit Fortpflanzung auf Jahre hinaus nicht zu erwarten und auch die diesbezüglichen Prognosen für den Luchs sind zurückhaltend zu formulieren , so Dr. Heinrich Haller, des Leiter der Nationalparks. (Atlas des Schweizerischen Nationalparks, S. 146) Lediglich beim Wolf gebe es Anlass zur Hoffnung, dass er sich in absehbarer Zeit im Engadin ansiedeln könnte.

Drei Aufgaben des Schweizerischen Nationalparks

Naturschutz: Der Schweizerische Nationalpark ist ein Naturreservat, das vor menschlichen Einflüssen und Eingriffen geschützt wird. Seit 1914 erfolgt keine Jagd oder Fischerei und keiner lei
Nutzung von Wäldern und Weiden mehr. Die gesamte Pflanzen- und Tierwelt bleibt ihrer natürlichen Entwicklung überlassen.

Forschung: Die wissenschaftliche Langzeitforschung ermöglicht das Verständnis der natürlichen Prozesse.

Information: Als Bildungseinrichtung leistet der Nationalpark einen Beitrag zum Naturverständnis der Besucher.

Schweizerischer Nationalpark: Lage und Klima

Der Schweizerische Nationalpark befindet sich inmitten der Alpen und umfasst eine Fläche von 170 Quadratkilometer im Kanton Graubünden, genauer im Engadin. Am Südrand des Parks schließt der 1935 gegründete italienische Nationalpark Stilfserjoch (Parco Nazionale dello Stelvio) an sowie an den Regionalen Naturpark Biosfera Val Müstair, der im Jahr 2010 eingerichtet wurde. Eingangstor zum Nationalpark ist Zernez mit dem Nationalparkzentrum.

Der Schweizerische Nationalpark besteht aus zwei Teilgebieten: dem 167 km 2; großen Hauptareal in den Unterengadiner Dolomiten und 3,6 km 2; großen Seenplatte von Macun, die 2,5 Kilometer entfernt ist.

Der höchste Punkt des Nationalparks, der Piz Pisoc, liegt 3173 über NN, der tiefste Punkt 1380 über NN. Etwa die Hälfte der Flächen sind bewachsen: 31 Prozent bestehen aus Wald (Arven, Bergföhren, Lärchen, Fichten), 17 Prozent sind subalpine und vor allem alpine Rasen. Die andere Hälfte wird von dolomitischem Gelände geprägt: Felsen, Geröllhalden und Murgänge.
Der Nationalpark gehört zu den sonnenreichsten Regionen der Schweiz: an rund 300 Tagen im Jahr zeigt sich die Sonne.

Mit einem Monatsmittel von nur 66mm Niederschlag ist das Gebiet relativ trocken. Die Quellen als natürliche Wasseraustritte im Gelände und das weitgehend unverbaute Gewässernetz sind prägend für die Landschafts formung und bietet wertvolle Lebensräume für Tiere und Pflanzen.

Der Nationalpark ist grundsätzlich von Menschen unbewohnt. Für Naturfreunde und Wanderer gibt es aber das Hotel Parc Naziunal II Fuorn inmitten des Nationalparks sowie eine Hüttenunterkunft.



Informationen:

Nationalparkzentrum
Schloss Planta-Wildenberg
CH-7530 Zernez
Tel. +41 (0)81 851 41 11
info@nationalpark.ch
www.nationalpark.ch

Atlas des Schweizerischen Nationalparks

Vor 100 Jahren begann im Schweizerischen Nationalpark das Experiment, die Natur sich selbst zu überlassen und deren Entwicklung zu beobachten. Der Atlas des Schweizerischen Nationalparks zeigt, was im 170 Quadratkilometer großen Naturreservat im Kernraum der Alpen geschehen ist. Mit einer Vielzahl von Karten und erläuternden Texten bietet das Werk auf 245 Seiten Informationen von den erdkundlichen Grundlagen über geschichtliche und räumlich vergleichende Bezüge bis hin zu Pflanzen, Tieren, dem Menschen und dessen Forschung.

Der Herausgeber: Prof. Dr. Heinrich Haller (Jg. 1954) war von 1996 bis 2019 Direktor des Schweizerischen Nationalparks. Er hat an der Universität Bern Zoologie, Botanik und Geographie studiert und an der Universität Göttingen in Wildbiologie habilitiert. Seine Fachgebiete sind die Gebirgsökologie im Allgemeinen und die großen Wildtiere der Alpen im Speziellen.

Informationen: www.atlasnationalpark.ch

Atlas des Schweizerischen Nationalparks
Die ersten 100 Jahre
Herausgegeben v. Heinrich Haller, Antonia Eisenhut, Rudolf Haller
Nationalpark-Forschung in der Schweiz Band 99/1.
Haupt Verlag Bern, 2013 ISBN 978-3-258-07801-4
Preis: (D) 59,- Euro, (A) 60,70 Euro, (CH) 69 SFR

Jagd: Nebenform menschlicher Geisteskrankheit

Der erste Präsident der Bundesrepublik Deutschland, Theodor Heuss, schrieb:

Jägerei ist eine Nebenform von menschlicher Geisteskrankheit .
(Theodor Heuss: Tagebuchbriefe 1955-1963, hg. V. Eberhard Pikart, Tübingen/Stuttgart 1970, S. 106)

Fakten gegen die Jagd

Die moderne Wissenschaft

Die moderne Wissenschaft

hat in zahlreichen Untersuchungen zweifelsfrei nachgewiesen, dass Tiere empfindungsfähige, Freude und Schmerz verspürende Wesen sind. Tiere verfügen über ein reiches Sozialverhalten und gehen wie wir Beziehungen und Freundschaften ein. Sie können Liebe und Trauer empfinden, ja, sogar Fairness, Mitgefühl, Empathie, Altruismus und moralisches Verhalten zeigen, das über Trieb- und Instinktsteuerung weit hinausgeht.

Trotz beharrlicher Propagandaarbeit der Jagdverbände sinkt das Image der Jäger immer mehr: Immer weniger Spaziergänger, Hundehalter, Reiter und Mountainbiker lassen es sich gefallen, wenn sie von Jägern angepöbelt und bedroht werden - und sie protestieren gegen Ballerei in Naherholungsgebieten sowie gegen Massenabschüsse auf Treibjagden. Immer wieder zu lesen, dass Jäger aus Versehen Liebespaare im Maisfeld, Jagdkollegen oder Ponys auf der Weide mit Wildschweinen verwechseln - das kann einem draußen in der Natur durchaus Angst machen - ebenso wie Schüsse am Spazierweg oder Kugeln, die in Autos einschlagen. Außerdem haben Millionen Tierfreunde kein Verständnis, wenn Jäger ihre Hauskatzen abknallen oder drohen, den Hund zu erschießen.

Tierrechtsorganisationen decken immer wieder Verstöße gegen das Tierschutzgesetz bei Treib- und Drückjagden sowie bei Gatterjagden auf, wo halbzahme Tiere gegen Geld abgeknallt werden. Warum Jäger Jagd auf Hasen machen, obwohl sie auf der Roten Liste bedrohter Arten stehen, kann irgendwie auch niemand mehr gut finden. Zudem haben 99,7 Prozent der Bevölkerung andere Hobbys, als Tiere tot zu schießen.

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Fakten gegen die Jagd - Die Natur braucht keine Jäger

Warum jagen Jäger wirklich?

Die Frage "Warum jagen wir?" beantwortet eine Jagdredakteurin wie folgt: "Einige beschreiben die Jagd als Kick, andere sprechen von großer innerer Zufriedenheit. Die Gefühle bei der Jagd sind ebenso subjektiv wie in der Liebe. Warum genießen wir sie nicht einfach, ohne sie ständig rechtfertigen zu wollen?"
Rationale Gründe, mit denen Jäger rechtfertigen, dass die Jagd notwendig sei, sind offenbar nur Ausreden. Jedenfalls schreibt die Jägerin: "Der Tod, der mit dem Beutemachen verbunden ist, ist verpönt. Deswegen suchen die Jäger Begründungen in Begriffen wie Nachhaltigkeit, Hege und Naturschutz."

Der Neurologe und Psychoanalytiker Dr. Paul Parin - ebenfalls begeisterter Jäger - schrieb in seinem Buch "Die Leidenschaft des Jägers": "Seit meinen ersten Jagdabenteuern weiß ich: Jagd eröffnet einen Freiraum für Verbrechen bis zum Mord und für sexuelle Lust, wann und wo immer gejagt wird."

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Immer mehr jagdfreie Grundstücke in Deutschland

Von Schleswig-Holstein bis Bayern: In Deutschland gibt es immer mehr jagdfreie Grundstücke!

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am vom 26.6.2012 entschieden, dass es gegen die Menschenrechte verstößt, wenn Grundeigentümer die Jagd auf ihrem Grund und Boden gegen ihren Willen dulden müssen, obwohl sie die Jagd aus ethischen Gründen ablehnen. Aufgrund des Urteils des höchsten europäischen Gerichts wurde die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, ihre Jagdgesetzgebung entsprechend zu ändern. Grundeigentümer können bei der unteren Jagdbehörde einen Antrag stellen, dass Ihr Grundstück jagdrechtlich befriedet wird.

Eine aktuelle Dokumentation über jagdfreie Grundstücke und laufende Anträge auf jagdrechtliche Befriedung finden Sie hier.

Seit 1974: Jagdverbot im Kanton Genf

Im Schweizer Kanton Genf ist die Jagd seit 40 Jahren verboten. Noch nie war die Biodiversität größer und die Wildtierbestände regulieren sich selbstständig erfolgreich. weiterlesen

Seit 1914: Jagdverbot im Nationalpark Schweiz

Im Schweizerischen Nationalpark ist die Jagd seit 1914 Jahren verboten - ein erfolgreiches Modell für eine Natur ohne Jagd, das beweist: Ohne Jagd finden Tiere und Natur in ein Gleichgewicht. weiterlesen

Jagdverbote in immer mehr Ländern

In Luxemburg ist die Jagd auf Füchse seit 2015

In Luxemburg ist die Jagd auf Füchse seit 2015

verboten. Damit liefert unser Nachbarland den praktischen Beweis dafür, wie unnötig das massenhafte Töten von Füchsen ist - auch in der modernen Kulturlandschaft: Weder hat die Zahl der Füchse zugenommen noch gibt es Probleme mit Tollwut. Die Verbreitung des Fuchsbandwurms geht sogar zurück.

Immer mehr Länder sprechen für den Schutz von Wildtieren Jagdverbote aus. weiterlesen